Tradition und Kultur

In Gunsleben hatten sich Traditionen entwickelt, um deren Pflege man bemüht war.

  

1. Mai - Kampftag der Werktätigen

 

Von jeher war der Kampftag der Werktätigen, der 1. Mai jeden Jahres, mit enger Traditionspflege verbunden. Am Abend zuvor wurde in Hohen Feld am Abzweig des Feldweges zum Sportplatz das Maifeuer abgebrannt. Wenn dann auch andere Dörfer aus gleichem Anlass ihre Feuer entzündeten, bot sich in südwärtiger Richtung am Huy ein beeindruckender Anblick. Vom Dorf zum Platz des Maifeuers marschierten die Jüngsten mit Lampions , ältere Schüler durften schon brennende Pechfackeln tragen.

 

Am 1. Mai wurde dann für die Erhaltung des Friedens, der Völkerfreundschaft und des Fortschritts demonstriert. Dazu setzte das Mai-Komitee die Teilnahme möglichst vieler Bürger voraus. Zur Absicherung einer hohen Teilnehmerzahl zahlte die LPG ihren demonstrierenden Mitgliedern eine Anreizprämie von 10 Mark, natürlich nur insgeheim!

 

 

Ausgangspunkt der Mai-Demonstration war der Bahnhofs-Vorplatz. Hier ordneten sich die Demonstranten, manche mit, manche ohne Transparente. Angeführt von der Schalmeien-Kapelle aus Barneberg - sie war am häufigsten Anführer des Gunslebener Demonstrationszuges - bildeten leitende Persönlichkeiten des Ortes die erste Reihe. Dazu zählten der Bürgermeister, der LPG-Vorsitzende und der ABV (Abschnitts-Bevollmächtigter) der Volkspolizei. Es folgten Organisationen und Vereine, die bemüht waren, zum Takt der Musik im Gleichschritt zu marschieren. Zu diesem Teil des Zuges gehörten die Ortsgruppe des DFD (Demokratischer Frauenbund Deutschlands), die Freiwillige Feuerwehr und der Sportverein, letztere in Uniform und Trikots. Den Mittelteil des Demonstrationszuges bildeten die übrigen Einwohner und den Abschluss Jugendliche und Schüler.

 

Im Gleichschritt marschierte der Demonstrationszug bis zur Eiche, folgte dann der Unteren Bergstraße und dem Zick-Zack bis zum Bahnübergang, wendete hier und begab sich zurück, anfangs zum Dorfplatz, später über den Üpling zum Amt. Dorfplatz und Parkfläche vor dem Schloss waren Orte der Abschlussveranstaltung. Vom Steintritt der Konsum-Verkaufsstelle und später vom Portal des Schlosses aus hielt dann Otto Bach, scherzhaft als "Vater der Warktätigen" bezeichnet, eine nicht immer klar verständliche Rede vor jenen, die es bis hierher noch geschafft hatten. Manch Demonstrant hatte sich frühzeitig in die Gaststätte Junge abgesetzt, um die 10 Mark-Lockprämie (die zahlten LPG und Kistenfabrik Neuwegersleben für die Demo-Teilnahme) in Bier umzusetzen. Wer rechtzeitig erschien, sicherte sich gute Plätze!

 

Einige hatten schon vor Beginn der Demonstration im Bahnhofslokal von Gretchen "Goldzahn" Platz genommen, um auf das Wohl des Weltfriedens, der Völkerfreundschaft und den Sieg des Sozialismus zu trinken. Es kam vor, dass infolge eines ausgedehnten Mai-Umtrunkes das Mittagessen in häuslicher Umgebung vergessen wurde. Der Kampftag der Werktätigen ging dann mit dem Maientanz im Saal der Gaststätte Junge zu Ende. 

 

Rentnerfeiern

Traditionell wurde im Dezember die Rentner-Weihnachtsfeier begangen. Gunslebens Rentner trafen sich im örtlichen Versammlungsraum, ließen sich vom Weihnachtsmann begrüßen und beschenken, um dann bei Kaffee und Kuchen in vorweihnachtlicher Stimmung die Feier zu beenden. Die Feier wurde mit Liedern umrahmt, die die Kindergarten-Kinder zu Gehör brachten. Finanziert wurde die Feier aus öffentlichen Mitteln, mitzubringen waren lediglich Tassen und Teller aus dem heimatlichen Depot.

 

Sportlerball

Eine Tradition überörtlichen Charakters bildeten die alljährlich von der SG Gunsleben 1960 ausgerichteten TT-Pfingstturniere mit dem abschließenden Sportlerball. Zum Sportlerball im Saal der Gaststätte Junge spielte Jahr für Jahr die überaus beliebte Tanzkapelle Helmut Nodorf aus Harbke, deren Lied "Der alte Schimmel ist im Himmel" zum Evergreen wurde. Zum Sportlerball gehörte traditionsgemäß die Tombola, die sich aus Spenden der Einwohner sowie aus Zuschüssen der Sportgemeinschaft finanzierte. Von den Einwohnern gespendet wurden aber auch Würste, Wurst- und Fleischkonserven und auch Eier, Nahrungsmittel, die zur Bewirtung der auswärtigen Sportfreunde dringend gebraucht wurden. Die Einnahmen aus der Tombola kamen der Sportarbeit zugute. Die Durchführung des Sportlerballes bedurfte der Genehmigung des Volkspolizei-Kreisamtes (VPKA). Diese erteilte auf Antrag die Abteilung Erlaubniswesen beim VPKA, geleitet von Oberleutnant der VP, Genosse Braune. Mit dem Antrag auf Genehmigung war eine Liste einzureichen, aus der das Verhältnis Osttitel zu Westtitel in der Tanzmusik hervorging. Das war Aufgabe der Kapelle Nodorf. Allgemein galt, dass 60 % der Titel Kompositionen von DDR-Musikern und älterer Komponisten sein mussten. Aber wo kein Kläger ist, gibt es auch keinen Richter, und am Tanzabend war von diesem verordneten Reglement nichts mehr zu spüren bzw. zu hören. Leider konnten TT-Turnier und Sportlerball über die Zeit nicht aufrecht erhalten werden, beides ist Geschichte.

 

Maskenball

 Während die TT-Pfingstturniere ihre Fortsetzung in den "Großen-Bruch-Turnieren" im einem verkleinerten Rahmen fanden, überlebte eine andere Tradition überhaupt nicht. Es waren die Maskenbälle, die in den 50er Jahren zur Karnevalszeit im Gasthaus Junge veranstaltet wurden und die von den Teilnehmern ein gehöriges Maß an Fantasie hinsichtlich der Masken- und Kostümgestaltung verlangten. Mit dieser Feststellung erschöpft sich das Erinnerungsvermögen des Chronisten, der damals viel zu jung war, um an solchen Veranstaltungen teilnehmen zu dürfen.

 

Volks- und Schützenfest

Im Sog der beliebten Volks- und Schützenfeste, die alljährlich im Sommer in den Nachbarorten rings um Gunsleben ausgetragen wurden, fanden sich auch in Gunsleben Bürger, die sich bereit erklärten, die Vorbereitung und Durchführung derartiger Veranstaltungen in die Hand zu nehmen. Zur Hauptschwierigkeit wurde alljährlich die Beschaffung des Festzeltes. Um dieses fest aufzustellen, wurde auf dem Gänseanger, Veranstaltungsort des Volks- und Schützenfestes, eine großflächige Betonplatte in die Grasnarbe eingelassen. Zum Zwecke der Stromversorgung wurde ein kleines Stromverteilungshäuschen erbaut. Das Festprogramm folgte der Überlieferung und enthielt u.a. den Schützenumzug, das Ausschießen des Bestschützen, die Siegerehrung, den abendlichen Schützenball und das Frühkonzert mit Frühstück. In reduzierter Form erfreut sich das zum jährlichen Sommerfest umgewandelte Vergnügen bis heute seiner Fortsetzung.

 

 

Chor und Kabarett

 

Auch die Freizeitgestaltung konnte kulturell genutzt werden. So bemühte sich der Eisenbahner Hermann Schulz um die Bildung und Festigung eines Chores, dem insbesondere die sangesfreudigen zumeist weiblichen Jugendlichen angehörten. Nach seinem Umzug in die Kreisstadt leitete Hermann Schulz erfolgreich den Chor der Bodelerchen".

 

Die Jugendlichen Hilde Laubusch, Rita und Elsa Metje, Dieter Pfusch, Uwe Bruns, Günter Schüler und ???  bauten die Kabarettgruppe "Die böse Sieben" auf, die später unter dem Namen "Die Buntkarierten" ihre Tätigkeit fortsetzte. Gekonnt glossierten und kritisierten diese Gruppen Missstände in der Gemeinde. Im Jahr 1957 nahm "Die böse Sieben" mit Erfolg an einem Bezirksausscheid teil. Diese Kabarettgruppen bauten auf jener Theaterspielgruppe auf, die unter Leitung des Lehrers Heinz Witte zuvor zur Weihnachtszeit ein Märchen einübte und im Saal Junge zur Aufführung brachte.

 

"Die böse Sieben": Elsa Metje, Günter Schüler, Rita Metje, Uwe Bruns, Hilde Laubusch, Dieter Pfusch und ???
"Die böse Sieben": Elsa Metje, Günter Schüler, Rita Metje, Uwe Bruns, Hilde Laubusch, Dieter Pfusch und ???

 

Kommunale Zweckverbände

Das Problem "Festzelt-Bereitstellung" wurde zunehmend überörtlich gelöst. Aus Zeltgemeinschaften entstanden kommunale Zweckverbände, die auch auf den Gebieten Werterhaltung, Verkehrserziehung und geistig kulturellen Aktivitäten zusammenarbeiteten. Diese kommunalen Zweckverbände waren die Vorstufe der Gemeindeverbände, in die Einzelgemeinden nach Beratung und Beschluss ihrer Gemeindevertretung eintreten konnten. In diesen Gemeindeverbänden behielten die Mitgliedsgemeinden ihre kommunale Selbständigkeit. Die Gemeindeverbände wurden vom Rat des Kreises und der SED-Kreisleitung angeleitet, den Inhalt der Zusammenarbeit bestimmten die örtlichen Volksvertretungen, Parteien und Massenorganisationen und das Gründungskomitee sowie weitere interessierte gesellschaftliche Kräfte. Aus dem zuständigen kommunal en Zweckverband bildete sich am 24.4.1976 der Gemeindeverband Ausleben mit den Mitgliedsgemeinden Altbrandsleben, Ausleben, Beckendorf, Gunsleben, Hamersleben, Hornhausen, Neuwegersleben, Ohrsleben und Wackersleben.

Sitz des Gemeindeverbandes war Ausleben. Dieser Gemeindeverband wurde als letzter im Landkreis Oschersleben gebildet. 

 

Zuvor waren bereits am 5.8.1972 der Gemeindeverband Völpke und am 1.1.1976 der Gemeindeverband Gröningen gebildet worden. Die Bildung dieser Gemeindeverbände erfolgte auf der Grundlage einer Siedlungsnetz-Entwicklung, die bereits vom Rat des Bezirkes bestätigt worden war. Vorgesehen war, das Territorium jeden Gemeindeverbandes in Übereinstimmung mit der Wirtschaftsfläche der im Gemeindeverband produzierenden Landwirtschaftsbetriebe zu bringen. Im Gemeindeverband Ausleben waren das die LPG (P) "Wilhelm Pieck" Hamersleben, die LPG (T) "Geschwister Scholl Wackersleben", die LPG "Vorwärts" Hornhausen und die Kooperative Abteilung Pflanzenproduktion (KAP) Altbrandsleben.

 

Theater

 Interessierte an Theater-Veranstaltungen konnten über ein Anrecht Schauspiel, Operetten-und Opernaufführungen im Volkstheater Halberstadt genießen. Der Bus von Walter Schaper brachte die Theater-Fans wohlbehalten nach Halberstadt und wieder zurück nach Gunsleben. Das Volkstheater hatte seinerzeit Künstler wie Lutz Jahoda oder Theo Adam engagiert. Lutz Jahoda glänzte später in zahlreichen Aufführungen des Deutschen Fernsehfunks der DDR, Theo Adam erhielt mit seinem wundervollen Bass nach seiner Halberstädter Zeit ein Engagement an der Deutschen Staatsoper Berlin (Ost). Und in Hans Auenmüller verfügte das Volkstheater Halberstadt über einen begnadeten Musikdirigenten, der in allen musikalischen Genres beheimatet war und zudem selbst komponierte.

    

 Kino

Auch das Unternehmen "Landfilm"betreute Gunsleben mit regelmäßigen Filmvorfihrungen im Saal Junge. Die allererste Filmvorführung für Schüler fand nach dem 2. Weltkrieg im Saal Hildebrandt statt. Gezeigt wurde der sowjetische Streifen "Iwan Iwanowitsch ärgert sich", eine slapstick comedy anspruchslosester Sorte. Allerdings gelangten nachfolgend auch inhaltsreiche Filme aus der Sowjetunion zur Aufführung. Die zunehmende Verbreitung des Fernsehens verbunden mit der Möglichkeit, bei richtiger Antenneneinstellung auch Filme des Westfernsehens zu empfangen, bewirkte einen ständigen Besucherrückgang der Landfilm-Veranstaltungen bis zu ihrer Einstellung.

 

Urania

Wer jedoch von den Einwohnern Gunslebens an wissenschaftlichen Themen interessiert war, konnte die Veranstaltungen der Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse "Urania " besuchen, zur Publizierung ihres Themenangebotes war in Gunsleben am 15.1.1959 eine Dorfakademie gegründet worden. Auch diese Themenabende erfreuten sich eines regen Zuspruchs. Die "Urania ' betrachtete es als ihre Hauptaufgabe, die zum Aufbau des Sozialismus geforderten allseitig gebildeten Menschen zu formen und sie zu befähigen, Gesellschaft und Natur dahingehend zu verändern, das große Werk der Befreiung der Menschh eit zu verwirklichen.

 

Kleinkunst

In den 50er und 60er Jahren besuchten auch Kleinkünstler Gunsleben. Zu diesen zählte ein Klein-Zirkus, der auf dem Platz vor der Pastorenscheune gastierte und mit akrobatischen Einlagen, Hunden, Ziegen u.a. Kleintierdressuren das zumeist zahlreiche Publikum unterhielt. Über ein Zelt verfügte dieser Zirkus zwar nicht, aber die Manege wurde mit breiten Stoffbahnen vor den Augen derjenigen geschützt, die kein Eintrittsgeld bezahlen wollten.

Vor dem Denkmal baute zu anderen Zeiten ein Puppenspieler seine Bühne auf, um vor allem die begeisterten Jüngsten zu unterhalten, die dem Puppenspiel aufmerksam folgten und ihre Anteilnahme an Kasperles Schicksal lautstark bekundeten.

Nicht unerwähnt sollen jene Schausteller bleiben, die mit Kinder-Karussellen in Gunsleben auftraten. In Erinnerung blieb ein Karussell, das vor dem Denkmal aufgestellt und von Hand betrieben wurde. Ein anderes Karussell sorgte anlässlich eines Volks- und Schützenfestes auf dem Gänseanger für regen Zuspruch, wobei es den Stromanschluss nutzen konnte.